Auenkurier
April 2003

   

Zweckmäßig, schön und umweltfreundlich

Die Gartenstadt und ihr Jungfernbrunnen

Wer Lützschena besucht, entdeckt sie nicht sofort. Sie liegt abseits der Hauptstraße, auf leicht ansteigendem Gelände in nördlicher Richtung, das zur Bahnlinie führt. Hat der Besucher die zwischen 1909 und 1911 durch den Baumeister Bruno Peglau (1875-1922) erbaute schmucke Gartenstadt gefunden, ist er freudig überrascht von der Schönheit der Anlage mit ihren mehr als 135 Häusern, die von gepflegten Gärten umgeben sind und von einer hohen Wohnkultur künden. Aus denkmalpflegerischer Sicht steht die Siedlung unter "Sachgesamtheitschutz". Der Jungfernbrunnen und die Häuser Kleiner Poetenweg 25 und Paulinengrund 7 und 15 sind in der Denkmalliste verzeichnet.

"Leider hat die Gartenstadt im Laufe der Jahre an architektonischer Attraktivität verloren", meint berechtigt die Bibliothekarin Christa Werther. "Es müsste für dieses Bauensemble klare Auflagen für die Restaurierung geben".

1909 wurden Ansiedler gesucht, aktuell wie heute

In einer 1909/1910 erschienenen Werbeschrift der Gartenstadt Quasnitz GmbH wird für die Ansiedlung in der damals im Entstehen begriffenen Siedlung geworben. Das liest sich, als sei es für die Gegenwart geschrieben:

"Das moderne Großstadtleben mit all seinem Lärm und seiner Unruhe, - die moderne Form der Arbeit mit ihrer nervenaufreibenden Hast und Kräfteanspannung, - der Zwang, mit einer größeren oder geringeren Anzahl von Familien in einem gemeinsamen Miethause, in rauchiger, ungesunder Luft und in engen Straßen zusammen zu wohnen, hat wohl in jedem Bewohner Leipzigs schon einmal den Wunsch erweckt, hinaus aufs Land zu ziehen und in schöner Lage ein Häuschen zu ermieten, in dem er unabhängig vom Nachbarn leben und sich von des Tages Last und Mühe in einem freundlichen Daheim erholen kann.

Zumeist scheitert jedoch die Verwirklichung dieses Wunsches an der leidigen Geldfrage und nicht zum wenigsten am Mangel an geeigneten Grundstücken.

Die "Gartenstadt" GmbH hat es sich nun zur Aufgabe gemacht, durch Gründung von "Gartenstadt"-Ansiedlungen, insbesondere Siedlungen kleiner, wohnlicher Einfamilienhäuser in behaglichen, gefälligen Formen Angehörigen des Mittelstandes die Möglichkeit zu geben, in unmittelbarer Nähe von Leipzig und mit guter Verbindung nach der Stadt in freier Lage ein gesundes, gemütliches, praktisch eingerichtetes Heim für einen mäßigen Preis zu ermieten und auf Wunsch unter günstigen Bedingungen käuflich zu erwerben. Zur Verwirklichung dieses Zweckes hat die "Gartenstadt" GmbH zunächst ein ca 250000 qm großes Areal in Quasnitz bei Lützschena erworben.

Das Areal liegt hoch und gesund und ist 8 bis 10 Minuten von der schönen Elsteraue und dem Walde entfernt, welche sich ununterbrochen 2 ½ Stunden weit bis zum Eingang des Rosentals in Leipzig und 4 Stunden weit in entgegengesetzter Richtung nach Schkeuditz, Maßlau. Merseburg usw. erstrecken. Auf diesem Areal beabsichtigt die "Gartenstadt" GmbH in nächster Zeit ca. 140 Einfamilienhäuser errichten zu lassen. 68 dieser Häuser werden ... als Gruppen bzw. Reihenhäuser erbaut werden.

Jedes Haus hat einen Vorgarten, der als Ziergarten erhalten werden muß; fast alle Häuser haben auch größere Gärten im Inneren des Baublocks. Dort befindet sich auch ein großer Spielplatz, der mit schattenspendenden Bäumen bepflanzt wird. Die Grundrisse sind für alle Häuser gleich.

Jedes Haus erhält im Kellergeschoss einen großen Wirtschaftskeller, im Erdgeschoss zwei Wohnräume und eine große Küche von je 2,60 m lichter Höhe sowie ein Wasserkloset. Im Obergeschoß befinden sich eine größere Schlafstube und zwei kleinere Schlafräume von je 2,80 m lichter Höhe, ferner ein Bad, welches zugleich als Waschküche eingerichtet ist. Ferner ist ein geräumiger Dachboden vorhanden. Die Häuser werden nach Wahl für elektrisches Licht oder Gas, ferner mit Wasserleitung eingerichtet; die Räume werden einfach, aber modern und geschmackvoll, - in den oberen Räumen mit Wandschränken - ausgestattet.

Der Mietpreis beträgt durchschnittlich 530 Mark pro Jahr, den Verbrauch von Gas, Wasser und elektrischem Strom hat der Mieter selbst zu bezahlen.

Den käuflichen Erwerb der Grundstücke wird die Gesellschaft dadurch erleichtern, daß nur 1/8 des Preises, welcher sich auf rund 9-10000 Mark stellen wird, als Baranzahlung verlangt und 10jährige Amortisation des Restkaufgeldes eingeräumt wird. Durch geeignete Vertragsbestimmungen wird im Interesse der ganzen Siedlung dafür gesorgt, daß deren Charakter als "Gartenstadt" für alle Zeiten erhalten bleiben muß und damit eine Grundstücksspekulation ausgeschlossen wird. Muster eines Kaufvertrages wird anliegend beigefügt...."

Die "Gartenstadt" GmbH hat nicht zu viel versprochen. Der Plan wurde in allen Punkten Wirklichkeit. Bruno Peglau erwies sich als ein moderner, weitblickender, rationell gestaltender Baumeister von hoher Qualität. Noch heute ist die Gartenstadt ein beispielgebender Bestandteil des kulturellen Erbes von Lützschena und Stahmeln.

Im Zentrum - Der Brunnen an der Jungfernstiege

Bruno Peglau wusste um die Synthese von Architektur und baubezogener Kunst. Die von ihm in den Bebauungsplan einbezogene Brunnenanlage an der Jungfernstiege beweist es. Der Name Jungfernstiege kommt aus dem Süddeutschen und heißt so viel wie "Jungfern-Stufen". Der Architekt machte aus der Not eine Tugend und glich durch die Einfügung von je 12 Stufen neben der eigentlichen Brunnenanlage zwischen Am Kalten Born und Paulinengrund vorhandene Höhenunterschiede für die Bebauung aus.

Im Mittelpunkt der ursprünglich mustergültigen Anlage, in der auch Wasser sprudelte, steht die aus Stein gehauene Figur des Pans mit der Flöte, zu seinen Füßen hockt ein Wiesel, plastisch gestaltete Früchte, als Kränze geflochten, bilden das weitere Zierrat. Ein sehenswertes Stück, dieser Brunnen, wie man es in Lützschena kaum vermutet.

Längst ist der Brunnen versiegt, er verwittert vor sich hin, das Wasserbecken verstaubt, ein wenig traurig steht der Besucher vor der Anlage.

Edith Rühs erzählt

Die Lützschenaerin, heute 80 Jahre alt, wurde quasi im Schatten des Brunnens an der Jungfernstiege geboren. Noch heute wohnt sie in dem Haus neben der künstlichen Quelle, das ihre Großmutter 1918 kaufte. Hier ist Edith Rühs groß geworden, hier hat sie ihr bisherigen Leben gelebt. Viel weiß sie über die Anlage zu erzählen. Ihr Großvater, Ernst Zeißler, betreute sie, er ließ das Wasser fließen und wachte über Sauberkeit und Funktionstüchtigkeit der Anlage. "Viele Stunden haben wir im Sommer gemeinsam auf der Bank des Brunnens verbracht, unter den noch heute schattenspendenden Ahornbäumen", erinnert sich Edith Rühs. Das Amt des Großvaters führte später Ediths Mutter weiter, und schließlich ging es auf sie über. Viele Jahre hat sie dankenswerterweise gemeinsam mit ihrem Mann Erich, der 1999 leider früh verstarb, die Brunnenanlage gepflegt, gesäubert und in Ordnung gehalten. Sie haben es gern getan. Jetzt kann sie es kräftemäßig nicht mehr, und niemand hat sich bisher gefunden, den Staffelstab aufzunehmen.

Edith Rühs bedauert es, dass seit dem Ende des Zweiten Weltkrieges der Brunnen an der Jungfernstiege stiefmütterlich behandelt wird. Keine offizielle Stelle hat sich für ihn interessiert. Ein Trauerspiel. So wäre es anlässlich des diesjährigen Ortschaftsjubiläums nur zu wünschen, dass sich verantwortungsbewusste Bürger finden, die den Brunnen in ihre Obhut nehmen und sich ein Sponsor aufschwingt, dessen dringend gebotene Restaurierung zu finanzieren.

Gottfried Kormann




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